Zum Kronprinzen

„Zum Kronprinzen“
(Joachim Preiser, Hannover-Kirchrode)

Originalgetreuer Aufbau nach Abriss des „Tanzsaales“

Damit hatte niemand gerechnet: Für alle war die Substanz des Fachwerkgebäudes der ehemaligen Gaststätte „Zum Kronprinzen“ in Kirchrode die ungewisse Größe. Problematisch ist das Gebäude, aber für Fachleute ein durchaus zu lösendes Problem. Die Überraschung kam jedoch beim Entkernen des ehemaligen „Tanzsaales“, in dem bis vor kurzem noch kleine Firmen ihren Sitz hatten. Das stützende Gebälk und das umfassende Mauerwerk sind derart desolat, dass selbst ein Laie für einen Abriss plädieren würde.

So soll es auch erfolgen. Der „Tanzsaal“ wird in den nächsten Wochen abgerissen. An Hand der detailgetreuen Dokumentation wird das Gebäude anschließend wieder originalgetreu aufgebaut. Auch das in den zwanziger Jahren vorhandene Klinkerportal des Saales wird nach alten Aufnahmen errichtet.

Die entscheidende Aussage des Investors aber bleibt die Garantie, den Bürgerinnen und Bürgern beide Gebäudeteile, Gaststätte und Tanzsaal, nach dem historischen Vorbild zu erhalten.  Wenn Kirchrode angeblich schon keine „Mitte“ hat, so wird sich der Stadtteil aber über ein denkmalgeschütztes Ensemble im Bereich der Jakobikirche freuen können.

 

"Zum Kronprinzen"
Es gibt Gebäude, die haben eine Geschichte zu erzählen.
(Sebastian Hoff; HAZ vom 31.12.2009)

Die Geschichte des Hauses in der Brabeckstraße 16 ist besonders lang. Sie beginnt etwa um 1640 – und wäre vor gut einem Jahr fast zu Ende gewesen: Damals drohte der Abriss des ehemaligen Kötnerhofs Nummer 25, in dem mehr als 200 Jahre lang eine Gaststätte betrieben wurde. Doch die Kirchröder kämpften um ihren „Kronprinzen“ und hatten Erfolg: Das Haus wurde mit den Gebäuden rund um die Jakobikirche unter Ensembleschutz gestellt und soll nun im kommenden Jahr aufwendig saniert werden. Renate Möllers und Joachim Preiser vom Bürgerverein Kirchrode haben sich besonders für den Erhalt des historischen Fachwerkhauses eingesetzt.

Als sie an einem trüben Dezembertag gemeinsam mit dem Architekten Reszö Balassa das verlassene Gebäude in Augenschein nehmen, erinnern sie sich an frühere Zeiten in der Gaststätte „Zum Kronprinzen“: „Hier haben wir unsere Vereinssitzungen abgehalten“, sagt Preiser, als er durch einen Nebeneingang das Gebäude betritt. Wenig später steht er in der ehemaligen Schankstube: „Und hier war die Theke.“ So wie Preiser dies sagt, könnte man denken, dass ihm jeden Moment ein Bier gereicht wird. Doch in der ehemaligen Traditionsgaststätte werden schon lange keine Getränke mehr serviert. Das Gebäude steht seit Jahren leer und verfällt, ein muffiger Geruch durchweht inzwischen die Räume. An einigen Stellen sind die Wände eingerissen, um den Blick freizugeben auf die darunter liegende Bausubstanz. Im Restaurant ist ein großformatiges Bild auf der Tapete zu sehen: eine Ansicht der Brabeckstraße um 1950. „Hoffentlich kann das Bild gerettet werden“, sagt Möllers. Die Wand, auf dem die Tapete klebt, soll allerdings eingerissen werden – wie fast alle anderen Wände auch, erklärt Architekt Balassa. „Vor etwa einem Jahr habe ich zum ersten Mal mit dem Investor hier gestanden und überlegt, wie wir das Haus retten können“, erinnert sich Balassa.

Der Investor, der nicht genannt werden möchte, hat den Architekten beauftragt, das Gebäude für eine spätere Nutzung zu sanieren: Während sich an der Fassade und am Dach optisch nur wenig ändern wird, soll das Innere komplett entkernt werden und ein großer Raum entstehen. Dann werden nur noch die Stützen des Fachwerks zu sehen sein, das erstaunlich gut erhalten ist und nur an einigen Stellen ausgebessert werden muss. Da alle Außen- und Innenwände eingerissen werden, wird es während der Sanierung einen Moment geben, in dem nur noch das „nackte Gerippe“ steht. Dann kann auch das Stahl- und Betonfundament gegossen werden, auf dem das Gebäude später stehen soll. Bereits in wenigen Wochen werden die Räume und die Reste der Einrichtung verschwunden sein: Die ehemalige Küche voller Spritzer und Rußflächen zum Beispiel, in der zuletzt Pizzen gebacken wurden. Oder die winzige Kammer ohne Heizung, in der vermutlich einmal Angestellte übernachtet haben. Auch die kleine Wohnung im Anbau wird eingerissen. Wer auch immer hier wohnte – er musste sehr genügsam sein: Die Räume sind niedrig, Bad und Küche weisen einen äußerst bescheidenen Komfort auf. Eine schmale Stiege führt auf den Dachboden. Balassa leuchtet den Weg mit einer Taschenlampe. Es ist düster hier oben. Balken und Sparren sind geschwärzt. „Hier muss früher eine Räucherei gewesen sein“, vermutet der Architekt. An einer Seite des Daches wurden Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg notdürftig repariert. Durch die Spalten fällt ein wenig Tageslicht herein. Der Gang durchs Gebäude ist wie eine Zeitreise durch die Geschichte: Die Chronik von Kirchrode erzählt davon, dass hier früher Kirchgänger ihre Pferde ausspannten. Anfang des 18. Jahrhunderts soll das kinderlose Besitzerpaar einen Findling aufgenommen und den Hof später an das Kind vererbt haben. Im Laufe der Jahrzehnte haben Besitzer und Namen immer wieder gewechselt. Und über Generationen hinweg wurden in dem Haus fast ausschließlich Mädchen geboren. Der „Kronprinz“ war also die meiste Zeit über fest in Frauenhand. Möllers und Preiser haben sich viel mit der Geschichte des Gebäudes beschäftigt, doch jetzt werden sie von Balassa mit der Zukunft konfrontiert: Ein Neubau soll künftig das Hauptgebäude mit der ursprünglichen Scheune verbinden, die um 1900 zum Tanzsaal umgebaut wurde. Später eröffneten in dem Nebengebäude einige Geschäfte. Inzwischen sind jedoch fast alle Läden geschlossen. Anfang kommenden Jahres wird auch der Blumenladen an der Brabeckstraße ausziehen, dann kann hier ebenfalls mit der Sanierung begonnen werden. Auch das wird eine Herausforderung für den Architekten Balassa: Die Gebäudeseiten neigen sich sichtbar nach außen. Damit das Haus nicht einfach auseinanderfällt, wurden die Wände bereits vor Jahrzehnten mit Stahlseilen befestigt. Über die mussten die Bewohner des Dachbodens steigen, um in die hinteren Zimmer zu gelangen. Einrichtung, Poster und Aufkleber erinnern an die achtziger Jahre. Auf einer Wand steht in großen Lettern: „Männerfreie Zone“. Möllers staunt, als sie die Räume betritt. Davon war ihr nichts bekannt – obwohl sie in dem Haus oft zu Besuch war: „Ich hatte guten Kontakt zu der Frau, die hier zuletzt gewohnt hat“, erzählt Möllers. Die Einliegerwohnung im hinteren Teil des Gebäudes sieht noch so aus, als könne hier sofort wieder jemand einziehen. Doch auch sie wird komplett abgerissen. Der Rundgang ist beendet. Die Mitglieder des Bürgervereins stehen mit Balassa auf dem kleinen Platz vor dem „Kronprinzen“. „Was wird aus dem Schriftzug?“, möchte Preiser noch wissen. „Der muss doch unbedingt erhalten bleiben.“ Balassa scheint ihm innerlich zuzustimmen. Doch welche Pläne der neue Mieter hat, weiß er nicht. Vielleicht wird an der Stelle auch Werbung angebracht, sagt Balassa. In ein paar Jahren wird sich vielleicht kaum noch jemand an die Gaststätte namens „Zum Kronprinzen“ erinnern. Doch die Geschichte des fast 400 Jahre alten Gebäudes im Schatten der Jakobikirche kann auf jeden Fall weitergeschrieben werden.